Auf dem Radar, welche Technologien und Methoden die Zukunft des Designs bestimmen, tauchten neben Künstlicher Intelligenz oder dem Dauerbrenner Augmented Reality keine wirklich innovativen Ansätze auf. Der Arbeitsplatz im Grafik-Design sieht heute fast genauso aus wie vor 20 Jahren. Höchste Zeit also, nach neuen Methoden Ausschau zu halten!
Der klassische Designprozess – bestehend aus Aufgabe, Analyse, Prototyp, Test und Veröffentlichung – bestimmte die letzten Jahrzehnte. Darunter fallen Disziplinen wie Produktdesign ebenso wie Interface Design oder Visuelle Kommunikation. Je nach Design-Disziplin fallen die Arbeitsschritte unterschiedlich aus. Doch eines haben Sie gemeinsam: sie entsprechen dem Waterfall-Prinzip, also alle Arbeitsschritte lassen sich zeitlich nacheinander abarbeiten, wie ein Wasserfall. Doch nun ist eine neue Methode in aller Munde: das Design Thinking.
Design Thinking hört sich im ersten Moment danach an, dass reine Denkprozesse zu Lösungen führen. So formulierte einst der Philosoph Karl R. Popper: „Alles Denken ist Problemlösen.“ Die Fragestellung hinter Design Thinking lautete: wie denken Designer? Eine einfache Frage, die nicht mit einem Satz beantwortet werden kann. Zahlreiche Wissenschaften untersuchen Kreativprozesse, von der Neurologie bis zur Soziologie. Dabei gibt es Teilergebnisse: Kreative Lösungen können dann entstehen, wenn es noch keinen Lösungsweg gibt!
Am Beginn steht die Frage: gibt es ein Problem? Und wenn ja, wie viele?
Wenn ein Problem klar umrissen ist, kann es auch gelöst werden. Lösungswege werden skizziert, abgewogen und beschritten. Nacheinander werden die Aufgaben abgearbeitet. Das sogenannte Wasserfall-Prinzip steht Pate für diesen Prozess. Konkret bedeutet das: der Kunde braucht ein Logo. Es gibt verschiedene Ansätze. Diese werden skizziert, diskutiert, bewertet, entschieden und ausgearbeitet. Am Ende steht das Ergebnis fest: ein neues Logo.
Das klingt logisch und effizient. Doch was passiert, wenn das Problem klar ist, nicht jedoch der Weg? Der Kunde hat also das Problem in der Praxis, sein einst erfolgreiches Produkt weiterhin an die Kundschaft zu bringen. Die Lösung ist zunächst unklar. Es gibt keine Blaupause. Der Kunde ist der Meinung, ein neues Logo löst das Problem. Doch gibt es nicht tatsächlich mehrere Probleme? Ändert sich das Nutzerverhalten? Der Zeitgeist? Gibt es technologische Konkurrenz?
Aus einer Problemstellung können also viele Fragen entstehen, und möglicherweise schließen sich viele Probleme an. Aus einem kleinen Problem schließen sich größere an. Die Welt wächst in ihrer Komplexität und somit nicht nur Lösungen sondern auch Probleme. Dies ist häufig im Bereich der Digitalisierung zu beobachten.
Vom Tablet zur Infrastruktur: eine Problem zieht weitere Probleme nach sich.
Ein Beispiel: Arbeitsplätze sollen digitalisiert werden. Lösung: jeder Arbeitsplatz erhält ein Tablet. Problem: es gibt kein WLAN. Lösung: WLAN-Hotspots. Problem: Internetanschluss reicht nicht aus. Lösung: Breitband-Anschluss wird installiert. Problem: kein aktuelles Breitband möglich. Lösung: bauliche Maßnahmen. Problem: auf den Tablets ist keine Software. Lösung: Software wird installiert. Problem: Datenverlust. Lösung: Daten werden in die Cloud transferiert. Problem: Datensicherheit. Lösung: Datenschutz. Problem: Faktor Mensch. Lösung: Schulungen – die Reihe kann endlos fortgeführt werden.
Es beginnt mit einem Tablet und hört nicht mit Schulungen auf. Der Denkprozess beginnt an einem völlig falschen Ausgangspunkt! Der Arbeitsplatz wird abstrakt gedacht. Die Ausstattung besteht aus Hardware. Der Mensch ist dabei nebensächlich. Hier gilt es, die Blickrichtung umzukehren: der Mensch ist der Anfang des Prozesses. Nur die Betrachtung aus seiner Sichtweise eröffnet Perspektiven, die aus der Vogelperspektive nicht wichtig erscheinen. Hier setzt das Design Thinking an.
Damit das Team sich so in eine Thematik hinein denken kann, braucht es wissenschaftliche Methoden: Interviews mit Menschen werden geführt, die täglich ein Produkt nutzen oder eine Software bedienen. Alltagsprozesse werden überwacht, analysiert und Aussagen getroffen. Erst nach der Erhebung dieser Informationen können demnach Ziele oder Fragestellungen formuliert werden, wie Prozesse verbessert oder die Usability optimiert werden kann.
Methodik des Design Thinking
Da das Handwerkszeug des Design Thinking nicht eindeutig festgelegt ist, sollen an dieser Stelle einige wichtige Methoden vorgestellt werden, die je nach Aufgabenstellung und Teamgrößen durchgeführt werden. Es handelt sich dabei entweder um wiederkehrende Meetings, einer kontinuierlichen Teamaufgabe oder einem Workshop. Wie sieht ein solcher Workshop aus?
Das Design Thinking kann in einer Teamgröße von bis zu 16 Personen durchgeführt werden. Das Team sollte möglichst heterogen zusammengestellt sein, damit möglichst viele Sichtweisen zum Ausdruck kommen. Zu Beginn steht die Formulierung des Problems. Eine Lösung scheint unklar. Ziel des Workshops ist es somit, weniger eine konkrete Lösung zu finden, sondern die Lösungswege an sich!
Analyse, Interviews oder Daten sind die Grundlage für den Workshop
Neben analytischen Methoden wie Interviews, Umfragen oder Datenanalyse in Vorbereitung eines Workshops wird das Team mit den Erkenntnissen konfrontiert. So werden aus Interviews zum Beispiel persönliche Aussagen zitiert, die konkret eine Problematik an einem Arbeitsplatz schildern. Dies wird nun dem Team berichtet und somit an die oberste Ebene katapultiert!
Von den Personas zur User Story
Anschließend wird diskutiert, welche Gründe für die einen oder anderen Erkenntnisse vorliegen. In einer nächsten Phase kann mit Personas gearbeitet werden. Personas sind virtuelle Charaktere, die die Sicht der Anwendung oder der Mitarbeit in einem Herstellungsprozess oder im Konsumverhalten klären sollen. Das Team soll sich in die Menschen hineinversetzten, die mit den Produkten arbeiten. Hilfreich sind mindestens 5-7 unterschiedliche Personas.
Aus den Personas entstehen anschließend User Stories. Das sind also ganz konkrete Abfolgen von Handlungen und Interaktionen, die diese Personas durchführen. Diese können als Geschichte erzählt werden. Zum einen stehen die Geschichten im Vordergrund, die ein individuelles Problem beleuchten. Zum anderen wird z.B. eine User Story formuliert, wie ein optimaler Ablauf aussehen könnte. Zitate aus der Analyse können als persönliche Aussagen der Personas einfließen.
Rapid Prototyping – auch auf Papier
Diese individuellen Geschichten weisen natürlich Gemeinsamkeiten auf – Schnittpunkte, die für konkrete Lösungen als Anhaltspunkt dienen können! in den nächsten Schritten werden konstruktive Fragen zur Produktentwicklung oder gestalterische Fragen der Ästhetik oder der Usabilty diskutiert. In Teams werden nun Prototypen entwickelt, die auf Papier, in 3D oder sogar als echtes Werkstück mittels 3D-Druck erzeugt werden. Mehrere Teams können parallel verschiedene Ansätze realisieren.
Was Design Thinking kann – und was nicht
Design Thinking verwandelt nicht alle Menschen in Designer. Vielmehr nutzt es die kollektive Kreativität des Teams, Lösungsansätze in kurzer Zeit zu finden. Als Ergebnis steht nicht ein fertiges Produkt im Raum, sondern Wege und Prototypen, wie es zu einem oder sogar mehreren fertigen Lösungen kommen kann. Design Thinking ersetzt nicht die Aufgabe des Designs! Es integriert vielmehr das Design im Unternehmen oder anders herum – je nach Sichtweise!
Diese rasante Auflistung von den Methoden des Design Thinking soll verdeutlichen, dass es sich hierbei um ein Baukasten handelt, der stark von der konkreten Anwendung abhängig ist. Eines haben jedoch alle Workshops gemein: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen und Hierarchien finden zusammen mit Designerinnen und Designern zu gemeinsamen Lösungsansätzen – und das in kurzer Zeit!